Buchhändler, habt ihr kein Interesse am Hörbuch?

(C) René Wagner

Wir befinden uns im Jahre 2016 nach Christi Geburt. Ganz Deutschland ist von Büchern besetzt, tausende Buchhandlungen führen gedruckte Literatur… Ganz Deutschland? Nein! Eine von unbeugsamen Vielfalt-Liebhabern bevölkerte Minderheit hört nicht auf, dem Platzhirsch Widerstand zu leisten: Gerade mal etwa 300 Buchhandlungen bieten ihren Kunden auch Literatur der anderen Art, die akustische Variante namens „Hörbuch“. Nur: Warum sind das so wenige?

Das Leben ist nicht leicht für die medialen Freiheitskämpfer, die immer wieder die befestigten Lager, die verkrusteten Strukturen zu durchdringen versuchen. Doch für ihre Gefolgsleute, die im gesellschaftlichen Untergrund leben und ständig Vorurteile ertragen müssen, weil sie die Nutzer dieser vermeintlich ignorierenswerten „Lesefaule-Lesehilfe“ sind, ja, für diese armen Menschen sind die mutigen Freiheitskämpfer wahre Helden – und jeder einzelne ein Hort der kulturellen Vielfalt.

Nein, der Verfasser dieser Zeilen ist nicht übergeschnappt, und ja, ich bitte um Verzeihung ob dieser theatralischen Überspitzung – die allerdings einen zu beklagenden Ist-Zustand beschreibt. Tatsächlich, so belegt es neben dem eigenen subjektiven Eindruck die Einschätzung zahlreicher kleiner und auch großer Verlage, widmen sich unserem Medium nur geschätzte zwei- bis dreihundert Buchhandlungen mit Engagement und Herzblut.

Ganz zu schweigen von den wenigen reinen Hörbuchhandlungen, die man an einer Hand abzählen kann und die in Sachen Mut nochmal eine gehörige Portion drauflegen (Beispiele: „Der Schnabel der Welt“ von Ute Romeike in Düsseldorf, AUDIAMO von Günter Rubik in Berlin und Wien). Klar, wer Literatur verkaufen will – ganz gleich, in welcher Umsetzung –, läuft nicht mit Scheuklappen ausschließlich durch die klassische Bücherwelt, sondern hat die Bedürfnisse der Literaturliebhaber im Blick. Und Hörbücher sind nun mal so nah dran am klassischen Buch wie kein anderes Medium.

Also, was ist mit der „Buchhandlung um die Ecke“? Echte Hörbuch-Fans, die hier nach ihrem Lieblingsmedium suchen, müssen sich irgendwie klein, sehr klein vorkommen. Immer noch, gut sechzehn Jahre nach Beginn des Hörbuch-Booms in Deutschland und gar fast vier Jahrzehnte (!) nach Gründung des ersten deutschen, ausschließlich Hörbücher produzierenden Verlags (das war damals „schumm sprechende bücher“, heute „steinbach sprechende bücher“), ja, auch heute noch wird das – über viele Jahre am stärksten gewachsene – Segment des deutschen Buchmarktes von vielen Buchhändlern wie ein ungeliebtes Stiefkind behandelt.

(C) René Wagner

Wagen wir die Stichprobe! Besuchen Sie doch mal Buchhandlungen in kleineren Städten, wo es oft nur eine Handvoll oder tatsächlich überhaupt keine Hörbücher gibt. Oder Sie wundern sich bestimmt so wie ich über große Buchhandelsketten, die in manchen Städten plötzlich dem Hörbuch wieder Platz wegnehmen, statt es noch mehr zu stärken.

(C) René Wagner

In vielen Städten, auch gar nicht mal so kleinen, überlässt der örtliche Buchhandel das Hörbuchgeschäft offensichtlich lieber den Online-Versendern. Es ist gar nicht lange her, dass ich in der vergleichsweise gigantischen Buchabteilung eines Kaufhauses eine Glasvitrine (!) entdeckte, in der „stolze“ zwölf Hörbücher „präsentiert“ wurden – und das auch noch abgeschlossen hinter Glas. Abgeschlossen!

Und in der nächsten Stadt erdreistete sich die Chefin der führenden Buchhandlung nach meiner erfolglosen Hörbuch-Suche in ihrem Laden die denkwürdige Antwort: „Hörbücher? Ach, Sie meinen CDs – nein, so was haben wir nicht, die müssen wir bestellen.“

Bitte, bitte, bitte, liebe Hörbuchfreunde, sollten Sie ähnlich leidige Erfahrungen sammeln, nutzen Sie jede Gelegenheit zu „nerven“! Fragen Sie immer wieder nach neuen Hörbüchern, zeigen Sie Ihr Interesse an diesem wunderbaren Medium – auf dass die Hörbuch-Auslage in den Läden (zum ersten Mal oder sogar wieder) größer und größer wird.

Und meine Bitte an die Buchhändler: Seien Sie offen für Neues, wagen Sie ein bunt gefächertes Hörbuch-Angebot, und freuen Sie sich über gute Umsätze, wenn Sie „das Hörbuch“ mit genauso viel Kompetenz und Leidenschaft verkaufen wie das Buch.

Autor: René

René Wagner ist Fachjournalist für Literatur und ITK, gehörte u.a. zur Jury des Deutschen Hörbuchpreises, arbeitet als Produzent und Sprecher für Hörspiele, Lesungen, Web-TV-Magazine und TV-Spots. Aber vor allem ist er "Vorleser mit Leib und Seele", z.B. als Vorlesepate der Stiftung Lesen, als Vorlese-Coach an Volkshochschulen, auf Buchmessen und mit einer Theater-Show. Wie sagte schon Goethe: Vorlesen ist die Mutter des Lesens! :-)

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